Gedenkveranstaltung in Warburg zum Tag des Widerstandes

Quelle: Hansestadt Warburg

Das Attentat auf Adolf Hitler jährt sich in diesem Jahr zum 80. Mal.
Den mutigen Frauen und Männern, die an diesem Sturzversuch des NS-Regimes beteiligt waren, gebührt großer Respekt und ein ehrenvolles Andenken. Zwei der am Widerstand beteiligten Männer stammen aus der Hansestadt Warburg: Josef Wirmer und Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler. Sie stellten sich den Nationalsozialisten entschieden entgegen. Josef Wirmer plante das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 maßgeblich mit. Mit einer
Gedenkveranstaltung am 17. Juni 2024 würdigte die Hansestadt Warburg die Taten der Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer. An der Gedenkveranstaltung nahm unter anderem auch Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes NRW, teil.

Zu Beginn der Gedenkfeier enthüllten Ministerpräsident Hendrik Wüst, Anton Wirmer und Bürgermeister Tobias Scherf gemeinsam die neue Plakette am Gedenkstein für die Widerstandskämpfer Josef Wirmer und Wilhelm Emmanuel von Ketteler auf dem Brüderkirchhof. Der anschließende Festakt wurde gestaltet durch Wortbeiträge von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Marianum zum Thema Widerstand. Außerdem brachten Ministerpräsident Hendrik Wüst und Anton Wirmer, Sohn des Widerstandskämpfers Josef Wirmer, in ihren Redebeiträgen ihren eigenen Bezug sowie die Bedeutungsschwere und Präsenz der Thematik zum Ausdruck. Das Blechbläserensemble des Landespolizeiorchester NRW sorgte für eine angemessene musikalische Umrahmung.


„Was ist eigentlich Widerstand?“ – fragten die Schülerinnen und Schüler des Marianums zu Beginn ihrer Wortbeiträge. Den Weg der Entstehung von Widerstand gliederten sie in vier Stufen. Jede der vier Stufen füllten sie durch Beispiele individueller Schicksale mit Leben.

Nonkonformität

Am Anfang steht die Nonkonformität. Hier nannten die Jugendlichen die „Swing-Jugend“ die zur Zeit des Nationalsozialismus eine oppositionelle Jugendkultur und Generation in vielen deutschen Großstädten darstellte. „Alles, was aus dem braunen Einheitsbrei herausstach, wurde beäugt, jeder, der sich nonkonform verhielt, überwacht“, erklärte einer der vortragenden Schüler. „Aber was bleibt noch übrig von mir selbst, wenn ich mich so sehr anpasse?“, verliehen sie einem fiktiven Charakter aus der NS-Zeit eine Stimme.

Verweigerung

Als zweite Stufe auf dem Weg zum Widerstand wurde die Verweigerung genannt. „Jemand, der dem System nicht gehorcht und sich auch nicht durch Druck beugen lässt“, erklärten die Jugendlichen. Wie das Verweigern des Hitlergrußes. Der Mann, der im Beispiel seinen Arm nicht zum Hitlergruß hob, rebellierte still gegen die Rassentrennung. Denn seine geliebte Frau war Jüdin. „Ein Akt der Menschlichkeit“, resümierten die Schülerinnen und Schüler.

Protest

Der aktive Protest ist die dritte Stufe auf dem Weg zum Widerstand. „Protest bedeutet aufzustehen und sich sichtbar gegen ein Unrechtsregime zu erheben“, verdeutlichte der vortragende Schüler. Mit dem Beispiel einiger Frauen, die in der Rosenstraße aktiv gegen die Nürnberger Gesetze protestierten und damit nicht akzeptierten, dass diese Gesetze die Grundlage dafür bieten sollten, sie von ihren jüdischen Männern zu trennen, füllten die Jugendlichen auch die Stufe des Protests anschaulich mit Leben.

Widerstand

Die höchste Stufe, sich gegen ein Unrechtsregime zu wehren, ist der Widerstand.
„Das herausragende Beispiel für aktiv gelebten Widerstand ist Josef Wirmer – ein Sohn unserer Hansestadt und unserer Schule!“, machten die Schülerinnen und Schüler deutlich. „Ich denke an meine Frau und meine Kinder“, spiegelte einer der Schüler die Gedanken von Josef Wirmer wider. „Jedoch muss ich handeln, auch wenn der Preis hoch ist. Denn unser Leben, unsere Freiheit steht auf dem Spiel. Deutschland braucht einen Neuanfang, frei von Hass und Tyrannei“.

Tag des Widerstandes erhält neues Gewicht

Im Anschluss wendete sich Anton Wirmer, Sohn des ermordeten Josef Wirmer, mit einer ergreifenden Rede an die Anwesenden. Er dankte dem Bürgermeister der Hansestadt Warburg, Tobias Scherf, dem ehemaligen langjährigen Bürgermeister der Stadt Warburg und heutigem Landrat Michael Stickeln, dem Ministerpräsidenten des Landes NRW, Hendrik Wüst, sowie dem Kollegium und den Schülerinnen und Schülern des Marianums: „Danke, dass Sie durch Ihr Erscheinen und die Gestaltung dieses Festaktes dem Tag des Widerstandes ein neues Gewicht verleihen und das Andenken in Ehren halten.“

Das Gespräch einer Stadt mit ihrem Sohn

Bei der ersten Gedenkveranstaltung im Jahr 1954 in Berlin sei er selbst erst 14 Jahre jung gewesen. „Manche Kinder des 20. Juli wurden damals noch als Verräter-Kinder beschimpft“, erinnerte er sich. Die Hansestadt Warburg habe mit ihrer Gedenkleuchte jedoch schon sehr früh ein Zeichen gesetzt – und das über Jahre hinweg. „Mir erschien das immer wie ein Gespräch einer Stadt mit ihrem Sohn“, erklärte Anton Wirmer. „Auch für unsere Mutter war das Gedenken an unseren Vater in dieser Stadt immer von großer Bedeutung“.

Dankbar für die Beiträge der Jugendlichen

Sein Vater sei damals das gewesen, was man heute einen „Netzwerker“ nennt, resümierte Anton Wirmer. „Einer, der viele Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen des Widerstandes kannte und zusammenbrachte. Alle geeint durch die tiefe Verbundenheit gegen das NS-Regime“, erklärte er.
Auch in der heutigen Zeit gäbe es wieder mehr Menschen, die vor Nazi-Parolen nicht zurückschrecken. „Daher bin ich sehr dankbar, dass einige der heutigen Jugend diesen Tag mitgestaltet haben und damit in Erinnerung rufen, welche Bedeutung dieser Tag für unsere Demokratie hatte und hat“, so Anton Wirmer.

Wachhalten der Erinnerung ist Bedürfnis und Verpflichtung

Bürgermeister Tobias Scherf betonte, dass es aus Sicht der Hansestadt Warburg keinen geeigneteren Ort gibt, als die Aula des Gymnasiums Marianum „um einmal mehr in einem feierlichen Rahmen an Josef Wirmer und seine Mitstreiter zu erinnern und ihrer zu gedenken“. Nach wie vor sei es in Warburg Bedürfnis wie Verpflichtung zugleich, die Erinnerung an Josef Wirmer und die Ereignisse des 20. Juli 1944 wachzuhalten „und uns vor Augen zu führen, was die Widerstandskämpfer zu ihrem Handeln brachte“, so Scherf.

Freiheit des Geistes und des Gewissens hat gesiegt

Weiter stellte der Bürgermeister heraus, dass zwar das Attentat auf Hitler vor 80 Jahren misslang, die Freiheit des Geistes und des Gewissens jedoch letztlich gesiegt habe. Nur später. „Dies zeigt gerade unsere Anwesenheit heute: Ein Teil des Plans ging damit sehr wohl auf: Die sehr klare moralische und politische Botschaft des Widerstands konnte nicht niedergeschlagen werden“, fasste der Bürgermeister zusammen.

Gewissen hatte Vorrang vor dem eigenen Leben 

„Unsere heutige freiheitliche und demokratische Grundordnung basiert auch auf Menschen wie Josef Wirmer, die ihrem Gewissen Vorrang vor ihrem Leben geben“, erinnerte Tobias Scherf. Josef Wirmer habe schon seit 1933 als entschiedener Gegner der neuen Machthaber gegolten. Ihn haben die Machtergreifung durch die Nationalsozialisten, die bald darauffolgende Boykottaktionen gegen die jüdische Bevölkerung und die Gleichschaltungsbestrebungen tief bewegt, blickte Scherf auf das Leben Josef Wirmers zurück.

Tiefe humanistische Einstellung

Als Rechtsanwalt in Berlin arbeitend und als Mitglied der Zentrumspartei habe er früh die Gefahren erkannt, die von der menschenverachtenden NS-Ideologie ausgingen. Tief durchdrungen von demokratischen Werten habe Wirmer sich um die Prinzipien des Rechtsstaats gesorgt. „Dabei waren seine anwaltliche Verteidigung von verfolgten Bürgerinnen und Bürger Ausfluss dieser festen Überzeugungen: Seine zutiefst humanistische Einstellung, sicherlich auch geprägt von seiner Zeit hier am Marianum, stand in scharfem Widerspruch zum Wirken der Nationalsozialisten“, zeichnet Scherf ein Bild der Werte des Warburger Widerstandskämpfers. 

„Mensch bleiben“ ist von größter Bedeutung

Das Wachhalten demokratischer Werte und einer humanistischen Einstellung stellte auch Ministerpräsident Hendrik Wüst in den Mittelpunkt seines Wortbeitrages: „Mensch Bleiben und den Gegenüber als Mitmenschen zu sehen ist von größter Bedeutung für das Miteinander, für gelebte Demokratie“, erklärte er. Denn, „wo nicht mehr der Mensch, sondern Kriterien wie beispielsweise die Hautfarbe im Vordergrund stehen, haben Intoleranz, Hass und Gewalt leichtes Spiel“, warnte der Ministerpräsident. Die Entmenschlichung habe damals dazu beigetragen, dass die meisten Deutschen weggeschaut haben. „Daher ist das Mensch-Bleiben und das Sehen des Menschen im Gegenüber eine der wichtigen Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus“, betonte Wüst.

Gymnasium Marianum prägte moralische Kompassnadeln

„Viele tapfere Menschen, mit Josef Wirmer und Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler auch zwei Söhne dieser Stadt, setzten sich der NS-Ideologie entgegen“, so der Ministerpräsident weiter.
„Ihre moralischen Kompassnadeln wurden im Gymnasium Marianum geprägt.
Josef Wirmer blieb trotz Androhung der Todesstrafe seiner Überzeugung treu – und wurde nur 43 Jahre alt. Wilhelm von Ketteler plante bereits 1938 die Erschießung Adolf Hitlers beim Einmarsch in Wien und wurde daraufhin ermordet. Beide starben als „Märtyrer der Menschlichkeit“, betonte Hendrik Wüst.
 
Friede, Freiheit und Demokratie sind Privilegien

In der Bundesrepublik Deutschland habe es lange gedauert, bis solche Widerstandskämpfer gewürdigt wurden. „Hier in Warburg wird ihr Andenken jedoch seit der ersten Stunde wachgehalten“, unterstrich der Ministerpräsident. Geschehnisse aus der jüngsten Vergangenheit zeigten, dass auch noch heute Vorbilder gebraucht werden, die das Miteinander stärken „und dass dieses Miteinander verteidigt werden muss“, gab Wüst zu bedenken.
Friede, Freiheit und Demokratie seien Privilegien und gleichzeitig eine große Verantwortung. Denn ohne Frieden und Freiheit sei alles nichts. Ein Garant dafür sei Europa. „Daher bin ich froh, dass es auch weiterhin eine pro-europäische Mehrheit im europäischen Parlament gibt“, zeigte er sich dankbar.

Lust machen auf Demokratie

„Das Vermächtnis der Widerstandskämpfer des 20. Juli gibt uns Hoffnung – und ist zugleich eine tiefe Verpflichtung. Deswegen müssen wir Lust machen auf Demokratie und uns die Frage stellen: Welche Werte sind für unsere heutige Jugend eigentlich wichtig?“, so der Ministerpräsident.

Austausch im Anschluss

Im Anschluss an die Feierstunde gab es im Vorraum zur Aula die Gelegenheit zum Austausch. Infotafeln, vorbereitet von Museumsleiter Dr. Schwerdtfeger-Klaus, informierten über die Thematik des Widerstands und dokumentierten die damaligen Geschehnisse sowie das Leben und Wirken der Widerstandskämpfer auf ansprechende, greifbare Weise in Wort und Bild.